Der Mensch - und auch andere Tiere - verfügt über eine hohe Empfidsamkeit für die Wahrnehmung der Schwächen der Anderen.
Die Entdeckung einer solchen Schwäche, weckt nicht nur unsere Empathie; auch andere, niederere Instinkte werden aktiviert, vor allem, wenn wir diese Schwäche eines Anderen als stabile Persönlichkeitseigenschaft interpretieren.
Dies ist eine soziale Realität.
Aber auch in dem Fall, dass wir die Schwäche als temporär und durch äußere Umstande verursacht wahrnehmen, ist unsere Empathie von begrenzter Dauer. Nach einiger Zeit, ohne dass wir gewarnt werden, verwandelt sich die ursprüngliche Empathie in Irritation. Möglicherweise ist die empfundene Ohnmacht -zusammen mit der menschlichen Abneigung für das Unheil- für dieser "Metamorphose der Gefühle" verantwortlich.
Behinderte Kinder sind oft Opfer von Mobbing. Dabei ist jedoch die Behinderung nicht immer allein dafür verantwortlich ; die Fähigkeit der Eltern, das Kind zu lieben und zu schützen spielt eine erhebliche Rolle.
Im Falle von behinderten Kindern ist es ja aber so, dass Eltern wahrscheinlich nie ihre Kinder ganz werden schützen können - und das der schmale Grat zwischen Schützen und Überbehüten noch leichter zu überschreiten sein wird.
Aber auch normal begabte Kinder können aufgrund von Mangeln an Schutz und Liebe fürs Leben schwer geschädigt werden.
Bekanntermaßen kann Mobbing so subtil verlaufen, dass es für den Betroffenen fast unmöglich wird es zu benennen, geschweige denn es anzuzeigen. Und in den Schulen ist es machmal so, dass man nach den Motto handelt "Kinder sollen es untereinander lösen", was nicht grundsätzlich falsch sein muss.
Aber meistens schämen sich die Betroffen selbst gemobbt zu werden und es offen zuzugeben würde auch bedeutet, die eigene Schwächen öffentlich zu machen und sich selbst zuzugestehen, dass man alleine nicht zurecht kommt.
Es gibt auch eine andere Form von Mobbing, die nicht bewusst erfolgen muss und manchmal total unabsichtlich ist; das Ignorieren.
Die Betroffene sind meist unauffällige Menschen, die man nicht bemerkt, die da sind, aber irgendwie nicht zählen. Sie werden nicht als volle Individuen wahrgenommen und man denkt nicht daran, wie schmerzhaft dieses "ignoriert sein" sein kann. Sie existieren für uns nicht wirklich.
"Mein Freund Dahmer", von Derf Backderf, ist ein Comic der diese Art von Mobbing sehr genau und aus der Sicht eines "Mitläufers", beschreibt.
Backderf, der mit Dahmer im Gymnasium in einer Klasse war, und wie alle anderen seine dunkle Seite (er wurde ein Serienmörder) nicht bemerkt bzw. weit unterschätzt hatte, plagen Retrospektiv viele Fragen.
Der Autor beschreibt im Prolog den Schock, den er erlitt, als er in den Nachrichten über Dahmers Schiksal erfuhr. Und zum Glück, bleibt er nicht bei dieser banalen Feststellung stehen, sondern
geht ein Schritt weiter und stellt sich viele wesentliche Fragen, Fragen die Psychologen, Therapeuten, Pädagogen, Ärzte und jede(n), die/der mit Kindern arbeitet, beschäftigen
sollten.
Obwohl Backderf klarstellt - und man glaubt ihm -, dass zwischen ihm und Dahmer nie eine wirkliche Freunschaft existiert hatte, (er denkt das Dahmer überhapt nie richtige Freunde hatte,) sagt er auch das ihm Dahmer eine Zeit lang stark faszinierte.
Um die traumatische Verkennung der Person Dahmer zu verarbeiten, und die Fragen, die ihn seitdem plagten nachzugehen, schuf der Autor diesen Comic. Die Arbeit daran beschäftigte den Autor über zwanzig Jahre und bekam einen therapeutischen Charakter.
Wie war Dahmer bevor er ein Mörder wurde? Warum ist er überhaupt zum Mörder geworden? Hätte man es verhindern können?
Backderf beschreibt Dahmers Leben - vor allem seine Einsamkeit - auf eine so sensiblen Art, dass man es nicht anders kann, Mitleid mit den grausamen Serienmörder zu empfinden.
Interessant finde ich auch, dass er sein Leben mit dem von Dahmer vergleicht und uns vorführt, wie man sich irren kann, wenn man bei eine oberflächlichen Beschreibung der Lebensumstände eines Menschen bleibt - wie die Medien es meistens machen. Den Anschein nach waren Dahmers Lebensbedingungen sehr ähnlich zu denen des Autors.
Aber Dank der engen Bekanntschaft mit ihm hatte Backderf einen intimen Zugang zu seinem Leben und lässt uns hinter der Fassade blicken.
Dahmer ist, wie der Autor sagt, keine sympathische Figur, sondern eine tragische, unfähig unsere Sympathie zu wecken, aber wohl -wenn man das verlorene Kind in ihm erkennen kann- unsere Empathie. (Was natürlich seine Taten nicht entschuldigt; aber zum Teil erklärt).
Ignoriert im Gimnasium bleibt ihm als einzige Option wahrgenommen zu werden sein exzentrisches Verhalten, dass eine Zeit lang eine gewisse Ressonanz bei seiner Peergruppe findet und ihm kurzzeitig die Ilusion gibt, dazuzugehören. (Den Clown zu spielen ist eine gewöhnliche Lösung ausgeschlossener Kinder - nach dem Motto; "besser belacht als ignoriert".)
Geplagt von der Frage, ob er Dahmer irgenwie hätte retten können, stellt der Autor die wesentliche -die Gretchenfrage:
Wo waren die Erwachsenen??
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